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«Und dann trifft dich der Hammer»

Drei Fragen an Hellmut Krug – der ehemalige deutsche Spitzenschiedsrichter leitete die Schiedsrichterausbildung bei der VAR-Einführung in der Schweiz.

Anm.: Das Interview wurde am 1. September 2019 anlässlich der 6. Runde der RSL geführt.

Hellmut Krug weiss, wovon er spricht. Er kennt die Sonnenseiten des Schiedsrichter-Daseins. Aber ebenso die Schattenseiten. Am 5. Mai 2001 zeigt er im Bundesliga-Spiel zwischen dem Hamburger SV und dem 1. FC Kaiserslautern dem HSV-Spieler Sergej Barbarez wegen einer Tätlichkeit die Rote Karte. Dabei ging, wie die TV-Bilder eindeutig zeigten, der Kopfstoss vom Lauterer Michael Schjönberg aus. Kurz nach Spielschluss folgen die verbalen Angriffe der benachteiligten Mannschaft, gefolgt von harschen Worten in der Presse und der Wut der Hamburger Anhängerschaft. Als seine schlimmste Fehlentscheidung bezeichnet der ehemalige deutsche Spitzenschiedsrichter diesen Vorfall heute. «Eine krasse, offensichtliche Fehlentscheidung, für die niemand Verständnis hat, verfolgt einen das ganze Leben lang. Es gibt Schiedsrichter, die so etwas nie überwinden können.»

Der schwere Rucksack eines Schiedsrichters sei dies, sagt Krug. «Du gehst nach dem Spiel guten Mutes in die Kabine, schaltest den Fernseher ein und dann trifft dich der Hammer.» Dass sich der 63-Jährige für die Einführung des Video Assistant Referee ausspricht, hat deshalb einen guten Grund. «Mit dem VAR können wir diese eindeutigen, extremen Fehlentscheide verhindern.» Als Projektleiter für die Schiedsrichterausbildung war Hellmut Krug eine der Schlüsselfiguren bei der VAR-Einführung in der Schweiz.

Wie lautet Ihr Fazit zur VAR-Einführung in der Schweiz?
Sehr positiv. Die VAR und AVAR machen bislang einen sehr guten Job. Sie sind sehr aufmerksam, haben noch keinen klaren Fehlentscheid übersehen und jeweils die Situationen gut analysiert, in denen sie intervenieren und dem Schiedsrichter einen Review empfehlen müssen.

Sie betonen in Zusammenhang mit dem VAR oft die Zurückhaltung als wichtiges Erfolgskriterium. Warum?
Weil der Schiedsrichter auf dem Feld auch nach Einführung des VAR der Chef im Ring bleibt. Wir wollen hier in Volketswil nicht die Spielleitung übernehmen. Der VAR ist ein weiterer Assistent des Schiedsrichters, ebenso wie auch die SR-Assistenten an den Linien und der vierte Offizielle. Wenn der VAR zu oft eingreift, hat entweder der amtierende Schiedsrichter einen schlechten Job gemacht — oder der VAR hat seine Kompetenzen überschritten. Unangemessen häufige, unnötige Eingriffe des VAR, an deren Ende dann doch die ursprüngliche Entscheidung des Schiedsrichters steht, müssen wir unbedingt vermeiden. Denn das Spiel wäre nicht nur ständig unterbrochen, der Spielfluss ginge verloren und die Zuschauer hätten schliesslich keine Freude mehr am Spiel.

Video-Datei
Hellmut Krug erklärt den VAR

Welcher Job ist schwieriger? Schiedsrichter oder VAR?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Sicher spielt einerseits Veranlagung eine grosse Rolle, andererseits ist das Anforderungsprofil durchaus unterschiedlich, beim VAR deutlich komplexer. Als Schiedsrichter kannst du vieles auf der Grundlage eines ausgeprägten Instinkts und grosser Fussballerfahrung richtig entscheiden. Das reicht für den VAR nicht aus. Er muss über ein ausgeprägtes Grundlagenwissen verfügen, muss unter anderem sämtliche Parameter und Kriterien von Bewegungsabläufen kennen, um eine Situation nach Analyse der TV-Bilder richtig einzuordnen und den Moment für eine Intervention zu bestimmen. Hinzu kommt: Dem Schiedsrichter auf dem Platz werden Fehler durchaus verziehen, weil er in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung fällt. Fehler der VAR werden in der Öffentlichkeit hingegen kaum auf Verständnis stossen.