
«Wir haben ein hohes Niveau»
Knapp 100 Spiele arbitrierte Dani Wermelinger in der Super League. Im Interview spricht er über die aktuelle Situation und die Zukunftsaussichten der Schweizer Spitzenschiedsrichter sowie den ungebrochenen Reiz des Referee-Jobs.
Anm.: Das Interview wurde am 18. September 2019 geführt.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit zur Einführung des VAR in der RSL?
Wir sind äusserst zufrieden über die ersten Spieltage mit dem VAR. Hätte uns jemand im Oktober 2018, als das Projekt startete, diesen Auftakt angeboten; wir hätten unterschrieben. Wir sind uns aber sehr wohl bewusst, dass irgendwann in der Zukunft auch Fehler geschehen werden, die zu Kritik führen werden. Deshalb müssen wir demütig und konzentriert bleiben.
Die Schiedsrichter haben den VAR befürwortet. Warum eigentlich?
Wir sind sehr dankbar, dass es dank der SFL, den Klubs und dem SFV möglich war, den VAR in der Schweiz einzuführen. Denn es liegt in unserem Interesse, die zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel nutzen zu können, um möglichst gute Entscheide zu fällen. Als Schiedsrichter in die Kabine zu kommen und von einem offensichtlichen Fehlentscheid zu erfahren, von dem alle Zuschauer vor dem Fernseher bereits wissen — das ist einfach nicht mehr zeitgemäss!
Kritische Stimmen sagen, der VAR zerstöre die Emotionen im Fussball. Was sagen Sie dazu?
Ich kann diese Argumente nachvollziehen. Aber: Unser Interesse als Schiedsrichter ist es, am Ende den richtigen Entscheid zu fällen. Der richtige Entscheid ist für mich als Unparteiischen das Wichtigste und steht über allem anderen. Inwiefern verändert der VAR die Ausbildung der Schiedsrichter? Für einen Schiedsrichter, der in den obersten beiden Ligen tätig ist, erweitert der VAR das Spektrum seiner Tätigkeit. Talente, die von der Promotion League (PL) in die Profi-Ligen stossen, absolvieren eine Zusatzausbildung zum VAR. Auf den Amateur-Bereich hat der VAR dagegen keinen Einfluss.
Apropos: Wie steht es eigentlich um den Schiedsrichter-Nachwuchs in der Schweiz?
Wir sind grundsätzlich froh um jedes Talent, das sich hocharbeitet und schliesslich den Schritt bis in die Profi-Ligen schafft. Es gibt gesellschaftliche Veränderungen, welche die Situation erschweren. Jugendliche haben heute deutlich mehr Möglichkeiten und Wege, die sich ihnen eröffnen, was sich negativ auf jedes Vereinsleben auswirkt. Deshalb müsste die «Profi-Schiedsrichterkarriere» von den Regionen mehr gefördert werden, zum Beispiel bei Spielern, die verletzungsbedingt ihre Karriere beenden müssen, aber im Fussballgeschäft bleiben möchten. Denn Schiedsrichter zu sein ist ein äusserst reizvoller Job, wenn man zum Beispiel an die Leitung von internationalen Begegnungen denkt oder an einen Cupfinal, der für jeden Schiedsrichter ein grosses Ziel darstellt.
Dann nutzen wir doch die Gelegenheit. Wie würde sich denn ein Werbespot für den Schiedsrichter-Job anhören?
Als Schiedsrichter erlangt man eine Führungsausbildung auf höchstem Niveau, die man sonst als Jugendlicher nirgends kriegt. Der Umgang mit 22 Charakteren auf dem Platz — mit verschiedensten kulturellen Hintergründen — ist enorm spannend und bereichernd. Ich habe mich zu Saisonbeginn immer darauf gefreut, die neuen Spieler kennen zu lernen. Jeder Spieler hat als Mensch seine eigene Art, auf die man als Schiedsrichter — innerhalb des Regelwerks — eingehen muss.
Momentan fehlen die Schweizer Schiedsrichter auf den ganz grossen internationalen Bühnen des Fussballs. Warum ist dies so?
Nach den Rücktritten von Massimo Busacca und Claudio Circhetta entstand eine Lücke, welche die jüngeren Schiedsrichter füllen mussten. Dies brauchte Zeit. Erfahrung kommt nicht von einer Minute auf die andere. Aktuell erkennen wir aber jetzt die Resultate aus der Teilprofessionalisierung des Schiedsrichterwesens, die Ende 2017 gestartet wurde. Deshalb erachte ich die aktuelle Situation als sehr vielversprechend. Wir haben ein sehr hohes Niveau in der Saison 2019/20 — sowohl international als auch national. Sandro Schärer könnte — bei guten Leistungen in der Europa League — künftig Champions-League-Gruppenspiele arbitrieren, Adrien Jaccottet leitet ebenfalls Europa-League-Partien in der Gruppenphase. Wir haben in den letzten Jahren gepunktet und die Schweizer Schiedsrichter haben sich in Europa wieder einen sehr guten Ruf erarbeitet. Sie gelten als fachlich top ausgebildet und als Schiedsrichter mit sehr guten zwischenmenschlichen Kompetenzen. Und dank der Einführung des VAR ist sichergestellt, dass wir auch weiterhin für internationale Partien in Frage kommen. Gäbe es den VAR in der RSL nicht, wäre es für Schweizer Schiedsrichter international schwieriger aufzusteigen.
Die Schiedsrichter und ihre Entscheide stehen immer mehr im Fokus und sie sehen sich teils heftigen Reaktionen ausgesetzt. Worauf führen Sie dies zurück?
Ich betrachte es als gesellschaftliches Problem. Respekt und Anstand sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Wichtig ist, dass wir diese Fälle zusammen mit dem Verband und der Liga gründlich aufarbeiten und daraus Lehren ziehen. Gänzlich verhindern kann man solche Situationen, die Ausdruck starker Emotionen sind, nicht.
Kann der VAR Abhilfe schaffen?
Mit dem VAR wird der Fussball gerechter, indem schwierige Situationen noch besser und korrekter beurteilt werden können. Aber man darf sich nicht blenden lassen: Mit zwei emotionalen Fanlagern und einem Entscheid des Schiedsrichters, den man so oder so hätte fällen können, wird es auch künftig Situationen geben, in denen sich eine Seite benachteiligt fühlt.